Selbstzeugnisse

Diese Seite beinhaltet Äußerungen Gerenot Richters zu seiner Kunstauffassung und Gestaltungsweise sowie zur Verwendung der grafischen Techniken. Sie stammen aus Briefen, Vorträgen, Manuskripten und privaten Notizen. Die Auswahl wird weiter fortgesetzt.


Gerenot Richter in einem Brief vom 7. Juni 1987 an den Kunsthistoriker Matthias Mende in Nürnberg

Nachdem „Der ungetreue Hirt“ und die „Blinden“ als Brue­gel-Hommage herhalten mussten, habe ich nun endlich mein „Wahlblatt“ von A.D. [A. Dürer], den „Heiligen Eustachius“, in meine kaputte Welt eingebaut. Allerdings scheute ich diesmal die Mühe des Spiegelverkehrten, so dass die Kopie billig ist. Aber ich wollte genau nachvollziehen. Und ich habe wieder unheimlich viel gelernt – und auch die Ehrfurcht vorm Meister ist enorm gewachsen. Mit einer gewissen Kon­sequenz – zu ungunsten der Bildeinheit – habe ich die Ge­genständlichkeit mit Dürerschen Rhythmen geformt. Vieles blieb dabei Stückwerk, weil der Mut zum Risiko fehlte (so etwa bei der Behandlung der großen Schlossruine und der Plastik) und Strichelei statt Formstrich vorherrscht. An­sonsten war ich mit Freude bei der Sache, wenn Augen und Nacken auch recht zu leiden hatten. Leider kann ich nie in einem Guss arbeiten, da mich die Uni nach wie vor auffrisst.

Der beiliegende Fehldruck (untere Bildkante gequetscht) soll Sie ermuntern, das fertige Blatt gelegentlich selbst abzuho­len. Es ist Ihnen gewidmet! In den nächsten Wochen durch­läuft die Platte Aquatintaätzungen. Da opfere ich viele De­tails. Aber Sie sehen wenigstens, wie es mal war. (Übrigens ist die Kopie stümperhaft.) Der Schwellstrich des Stichels ist mit der Radiernadel kaum nachzuahmen. Neuerdings versu­che ich mich auch im Stechen. Zumindest bin ich jetzt so weit, dass ich zu schwach geätzte Bildteile nachsteche. Beim Nachätzen riskiert man oft das unmittelbare Umfeld, da die Säure gern den Asphalt an der Linie bzw. Grabenaußenkante bereits geätzter und abgedeckter Stellen unterläuft.

Das Blatt hat gegenwärtig noch den Arbeitstitel „Gleichnis III“. Ob ich die Janssenschen Flötentöne ausspiele, weiß ich noch nicht. Jedenfalls hat mich H. Janssens Zeichnung nach Baldung Griens „Die Bekehrung des Saulus“ mit den Erläuterungen „vor – zurück + darunter – darüber + rein – raus – Spitze kontra Kurve etc. etc. etc.“ beeindruckt, so dass mir eine Verbindung zum Meister A.D. legitim erscheint. Aber das sind alles kleine Spielereien am Rande der Arbeit. Die gestürzte Buche, deren entblößte Wurzel ich einmal zeichnete, war der Ausgangspunkt der Radierung. In der Krone finden Sie das Dürersche Prinzip „querschnittsorien­tiert“ oder „längs der Außenkante mit schraubenähnlicher Drehung“.

Dass man beim Radieren über diese Formfindung nicht mehr nachdenkt, versteht sich. Vielfach ist die rhythmische Lust bestimmend, manchmal auch die Richtung der Objekte zur Lage der Platte auf dem Arbeitstisch – und nach Wochen bemerkt man erst die Brüche.

Dürer konnte ja immer mal einen Probedruck machen und sich auf das bereits Gestochene einstellen. Ich muss mich bis zum Ätzen gedulden, 14 Ätzstufen von 30 Sekunden bis 28 Minuten. Vorher ist das Ganze nur ein einziger Flimmerhau­fen – die radierten Linien, alle mit der feinen Nadel gezogen, blinkern im seidenglänzenden Ätzgrund, blenden und geben nie einen endgültigen Eindruck.

Gerenot Richter: Über die Detailliebe und das Zitieren von Kunst – Antwort auf eine Kritik

Aus einem Brief vom 20. Februar 1985 an die Journalistin Sabine Sülflohn. Richter nahm Bezug auf ihre Rezension in der „Neuen Zeit“ vom 22. November 1984

Die „Überfülle des präzise Dargestellten“ und das „akribi­sche Festhalten an jedem Detail“ ist für mich eine Gestal­tungsweise, der auch schon Gisold Lammel nachgegangen ist und die er als eine Art „Horror vacui“ zu erklären versucht. „Überfülle“ ist für mich zunächst ein von der Wirklichkeit diktierter Sachverhalt. Was ich aus ihr wähle, wie ich dann ordne und mit welchen Gestaltungsmitteln ich darlege und rhythmisiere, betrachte ich als einen wesentlichen inhaltli­chen Zusammenhang meiner graphischen Arbeit. Dabei ent­spricht die Behandlung des Details meiner Achtung vor der gegenständlichen Welt als Ganzes. Insofern erlangt ein Gras­büschel die gleiche Aufmerksamkeit der Durchbildung wie ein ins Auge springender bedeutungsträchtiger Gegenstand des Bildes. In diesem Zusammenhang wage ich den Ver­gleich mit Werken der Baukunst: Obwohl der Betrachter die plastische Ausformung der Turmspitze eines gotischen Tur­mes im Detail nie erfassen und auch nicht überprüfen kann, hat der Steinmetz sein Werk mit Akribie – zu Ehren Gottes – gefertigt. Ich weiß natürlich um das „Offenbleiben in grafi­schen Schilderungen“ eines Niemeyer-Holstein, würde aber mit der Feststellung dieses Gestaltungsprinzips nie eine Wertung verbinden, weil ich bezweifle, dass bei ihm – auf­grund des Weglassens – „mehr gesagt ist“ als etwa mit einem „übervoll“ durchgebildeten Blatt Dürers.

Zweifellos will ich die Lesbarkeit meiner Graphik bis ins Detail festlegen und dem Betrachter auch nach mehrmaligem Durchwandern des Bildes neue inhaltliche Zusammenhänge im gegenständlichen Bereich eröffnen. Wichtige Bildobjekte werden oftmals so in ihre Umgebung verwoben, dass sie auf Anhieb nicht wahrgenommen werden; sie wirken fast ver­steckt – erst, wenn man sie wirklich „entdeckt“ hat, lassen sie einen nicht mehr los und bilden einen neuen Ausgangspunkt für die inhaltliche Erschließung des ganzen graphischen An­liegens. Ich würde das nicht „Konstruiertheit“ nennen. Der Zufall regiert durch meine nicht unumstößliche, manchmal sehr vage kompositorische Vorarbeit so stark, dass ich oft erst im Nachhinein eine künstlerische Entscheidung bereue, die lediglich abhängig war von der Bindung an die Sachwelt.

 

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