Werk

Auf dieser Seite sollen einige ausgewählte Arbeiten aus dem unfangreichen graphischen Gesamtwerk Gerenot Richters (siehe Seite „Werkverzeichnis“) nach und nach vorgestellt werden, zusammen mit, soweit vorhanden, korrespondierenden Textauszügen aus gedruckten sowie unveröffentlichten Quellen.

Übergreifende Betrachtungen zum graphischen Gesamtwerk finden sich auf der Seite „Literatur“Das Mosaik rechts – unter der Überschrift „Werkauswahl“ (mit Klick auch als „Bilder-Show“ zu öffnen) – ist ein Vorgriff auf die unten folgenden Präsentationen.


Das von Gerenot Richter selbst zusammengestellte Werkverzeichnis der Druckgraphik 1964 – 1989 enthält 50 Flachdrucke und 304 Tiefdrucke (weitere 43 Lithographien wurden nicht in das Werkverzeichnis aufgenommen). Darüber hinaus umfasst Gerenot Richters Gesamtwerk auch zahlreiche Zeichnungen, unter denen sich etliche befinden, die an die Qualität seiner besten Tiefdrucke heranreichen, sowie eine beachtliche Zahl von Aquarellen, Pastellen und Gemälden. Jedoch spielte die Malerei in seinen fruchtbarsten Jahren als Grafiker eine sehr untergeordnete Rolle. Vermutlich konnte er in der begrenzten Zeit, die ihm neben seinem Wirken als Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin verblieb, nur durch diese Konzentration auf die Druckgraphik jene künstlerische Höhe erreichen, die ihn in den 70er und 80er Jahren zu einem „Meister“ des Tiefdrucks machte. Sein in einer breiteren Öffentlichkeit leider noch immer kaum bekanntes graphisches Werk hat unter den Kennern bis heute nichts von seiner Faszination und Gültigkeit eingebüßt.


Aus der Folge „Nach dem Sturm“

Nach dem Sturm I, 1980, Farbradierung auf zwei Platten, Mezzotinto, 43,5 x 51 cm, Werkverzeichnis II-131

Nach dem Sturm V, 1981, Farbradierung auf zwei Platten, Mezzotinto, 43 x 51,5 cm, Werkverzeichnis II-142

Nach dem Sturm VI, 1982, Farbradierung auf zwei Platten, Mezzotinto, 43,5 x 53,5 cm, Werkverzeichnis II-153

Aus: Gisold Lammel, „Meister des Kupferstichs. Gerenot Richter“, Spröda 1997, S.16/17
In den achtziger Jahren schuf Gerenot Richter im Tiefdruckverfahren ein Dutzend großformatiger Landschaften: zwischen 1980 und 1982 die sechs Blätter umfassende Folge „Nach dem Sturm“ (Farbradierungen auf zwei Platten, Mezzotinto, 43/44 x 50/51,5 cm) und zwischen 1983 und 1988 sechs weitere gleichnishafte Bilder, die noch größere Abmessungen aufweisen (Radierung und Aquatinta, bis auf eine 50 x 65 cm). […]
Die Folge „Nach dem Sturm“ bezieht sich auf die Sturmkatastrophe von 1980. Während eines Aufenthaltes in Nordhausen sah er die entsetzlichen Schäden und Verwüstungen. Er bekannte, daß er seit dem Kriege keine derartige Verheerung erlebt hatte. Eine Fülle von Zeichnungen entstand im Park und in der Umgebung der Stadt. Schon damals sah er in der Naturkatastrophe ein Gleichnis für die unfaßbaren Bedrohungen der Menschheit durch nukleare Rüstungspotentiale u.a.m. Gleich im ersten Blatt der radierten Folge faßte er sein Erlebnis mit einprägsamer Wucht zusammen. Er führte den Betrachter ganz nah an ein Stück verwüsteten Hochwaldes und formte eine Gruppe geknickter und zerspellter Bäume zum gellenden Todesschrei. Schrill leuchten die Wunden der geborstenen Stämme aus dem Bild, und das gesplitterte Holz bildet ein bizarres Kraftfeld, Blitzen am Gewitterhimmel ähnlich. Gab er hier den Tod einer Gemeinschaft gesunder Bäume wieder, so auf dem letzten Blatt der Folge das Ende eines altersschwachen Baumes. Dort hat er geschildert, wie der Sturm den Veteranen ins Wasser gestoßen hat. Auf dem fünften Blatt sind hingegen entwurzelte Bäume unterschiedlichen Alters zu sehen. Mit den vielen ins Leere greifenden Wurzeln hat Richter hier ein erschütterndes Bild einer Katastrophe geprägt. Die übrigen drei Bilder wirken etwas verhaltener und variieren gleichfalls das Motiv sterbender und gestorbener Bäume. Dabei faßte er die Zugrundegegangenen als Individuen auf.

 

Aus den „Großen Gleichnissen“

Gleichnis I, 1983, Radierung und Aquatinta, 39,5 x 55,5 cm, Werkverzeichnis II-188

Aus: Gisold Lammel, „Meister des Kupferstichs. Gerenot Richter“, Spröda 1997, S.17
Im Vergleich zu [der Folge „Nach dem Sturm“] sind die nachfolgenden „Großen Gleichnisse“ thematisch weiter ausgreifend. Sie enthalten nun durchweg auch Bildfiguren sowie Zitate, die eine jahrhundertelange Entwicklung von Kunst und Kultur andeuterı. Diese Blätter bilden gewissermaßen die Quersumme von Richters Schaffen und sind mithin für ihn das, was für Dürer die „Meisterstiche“ gewesen sind. Aus ihnen spricht der besorgte Künstler, den eine tiefe Liebe zu Natur, Mensch und Kunst erfüllt hat. Ganz persönliche Erlebnisse in unterschiedlichen Landschaftsräumen sowie in und vor architektonischen Denkmälern und in Museen fügte er zur „paysage moralisé“. Er hat demzufolge dem Ästhetischen das Ethische hinzugegeben, und immer ist hinter der Bildrealität auch eine gemeinte Wirklichkeit verborgen.
Das früheste Blatt dieser Reihe ist das „Gleichnis I“ aus dem Jahre 1983. In ihm spielen Gedanken über das Geben und Nehmen in der Natur wie über das Leben nach einer Katastrophe eine Rolle. Zu beiden Seiten des Vordergrundes ragen Baumfragmente in den Bildraum: Da krallt sich ein Stumpf mit teilweise unterspülten Wurzeln in den kargen Hang, und da liegt eine abgerissene Krone auf ihrem sperrigen Geäst. Aber die beiden Fichtentorsi gehören nicht zueinander. Die von ihnen getrennten Teile sind dort anzunehmen, wo der Künstler stand und sich nun der Betrachter befindet. Und wenn sich das Auge an dem Gitterwerk der Sturmopfer vorbei nach hinten drängt, gelangt es zu den Überresten einer den Alterstod gestorbenen Weide. Ein Teil ihres auseinanderklaffenden morschen Stammes hat sich zum Boden geneigt und dabei einen weiten Torbogen gebildet, durch den der Blick zu einer friedlichen Boddenlandschaft geleitet wird, zu einer übers Wasser schauenden Frau am Ufer, zu Möwen und Booten sowie zu einigen von Bäumen umstandenen Häusern. Diese Miniatur, gewissermaßen ein winziges Bild im Bilde, steht im Gegensatz zu der durch den Sturm gezeichneten Landschaft des Vordergrunds. Aber auch hier zeigt sich wiederum ein Kontrast zwischen den zerstörten Bäumen und der sich ungestört am Boden ausbreitenden vielgestaltigen Vegetation, in der ein Liebespaar Schutz gesucht hat. Ein Vogel, hoch oben im toten Geäst sitzend, zwei sich in den unteren Bildecken tummelnde Schmetterlinge sowie die sich auf hügeligem Terrain reckenden Kiefern, die den Sturm überlebt haben, mildern gleichfalls die Klage um das jäh beendete Leben. Das erwähnte kleine Getier, das gar nicht so leicht zu bemerken ist, soll nicht nur einen versöhnlich-heiteren Klang bewirken, sondern auch ganz einfach mit seiner eigenartigen Schönheit die Randzonen des Bildes bereichern und beleben.
Ausgangspunkt für diese Komposition waren Erinnerungen an Aufenthalte auf dem Darß und im Nordhäuser Park von Hohenrode nach der Sturmkatastrophe von 1980. Somit bildet sie eine enge Verbindung zur Folge „Nach dem Sturm“. Die ganz dem Liebesrausch Ergebenen im Bild erinnern an jene deftjg-sinnlichen Paare, die der italienische Bildhauer Giacomo Manzù in den sechziger Jahren geschaffen hat.

 

Gleichnis III (Eustachius), 1987, Radierung und Aquatinta, 50 x 65 cm, Werkverzeichnis II-263

Aus: Peter H. Feist, Eröffnungsrede zur Ausst. „Gerenot Richter (1926-1991) – Gleichnisse“, Joachimsthal 2006, unveröffentl. Manuskript
„[Gerenot] Richter gehörte zu den Künstlern, die ganz bewusst und mit guten Gründen künstlerische Traditionen bewahren und deren Werte lebendig halten. Lebendig halten hieß, mit Dürers Kupferstichen etwas Neues zu schaffen. Richter vereinte das Altmeisterliche mit dem modernen Prinzip, den Zugang zur Bildaussage zu erschweren, damit die Betrachter sich nicht mit einem flüchtigen Blick begnügen können. Das ist Erziehung zur visuellen und geistigen Anstrengung. Ich sehe auch […] noch etwas anderes. Richter, der die Kunst grundsätzlich sehr erst nahm, wusste um den Reiz des Unerwarteten und Unlogischen und versteckte gern eine Prise witzigen Spiels im dichten Geflecht seiner Farnkräuter und knorrigen Bäume. Wie die meisten Künstler hat er seine Absichten nicht mit eigenen Worten erläutert. Wir können in einem jetzt veröffentlichten Brief an einen Nürnberger Kunstkenner etwas über seine Formvorstellungen, vor allem aber über drucktechnische Probleme und Schwierigkeiten nachlesen. [Der für die Entstehungsgeschichte dieses Werkes sehr aufschlussreiche Teil des Briefes an den Kunsthistoriker Matthias Mende lässt sich auf der Seite Selbstzeugnisse nachlesen.]
Selbst die Titel der Werke bringen uns nicht immer auf die richtige Spur. Die Einladung zur heutigen Ausstellung zeigt einen Ausschnitt aus dem Blatt „Gleichnis III“ von 1987, das mit dem Zusatz „Eustachius“ versehen ist. Den Namen Eustachius bekam ein legendärer römischer Feldherr, als er sich taufen ließ, nachdem ihm während der Jagd der Gekreuzigte zwischen den Geweihstangen eines Hirsches erschienen war. Wegen seines neuen Glaubens erlitt er später den Märtyrertod und galt als Heiliger seit dem Mittelalter als einer der vierzehn Nothelfer. Von dieser Legende stellte Richter nichts dar. Nur die Burg am fernen Horizont ist seitenverkehrt aus einem Kupferstich Dürers übernommen, der die Bekehrung des jagenden Waffenträgers wiedergibt. Allein ein Spezialist kann das identifizieren, ebenso, dass das Bauwerk im Mittelgrund, die Ruine des im Krieg zerstörten Schlosses Muskau ist. [im Fürst Pückler Park Bad Muskau] Hauptmotive im Vordergrund sind vielmehr eine vom Sturm gestürzte Buche und sie überragende wuchernde Pflanzenstengel, die ganz ähnlich schon in einem Kupferstich von 1979 auftauchten. Der entwurzelte Baum, die Ruine mit der Bauplastik einer segnenden Figur und die Kräuter lassen sich als Gleichnis für den Kreislauf von Stirb und Werde, Zerstörung und neuem Leben verstehen. Für eine Verknüpfung mit der Eustachius-Geschichte finde ich keine Erklärung.
Das beunruhigt mich an diesem meisterhaften Kupferstich. Meine Vernunft will deshalb revoltieren. Aber dann fällt mir wieder ein: Beunruhigung, Anstachelung von Neugier gehört mit zum Sinn von großer Kunst, von dem kostbaren Lebenswert, den sie für uns bereit hält.“

Aus: Gisold Lammel, „Meister des Kupferstichs. Gerenot Richter“, Spröda 1997, S. 20
Als nächstes Blatt dieser Reihe entstand 1987 das „Gleichnis III (Eustachius)“, ein Bild über Nach- und Umdenken angesichts eines Überwältigenden Erlebnisses. Für Richter war der Ausgangspunkt für diese Komposition das Gewahrwerden eines entwurzelten Baumes, der völlig gesund und wie von Geisterhand aus dem Erdreich gerissen schien. Diese für ihn unfassbare Situation setzte er in Bezug zu jener Begegnung, die Eustachius, der Heermeister des römischen Kaisers Trajan, einer Legende zufolge auf die Knie zwang. Die Parallele deutete Richter mit einem Zitat aus dem Kupferstich „Der Heilige Eustachius“ (um 1500/1502) von Albrecht Dürer an. Auf dem Blatt des bedeutendsten deutschen Renaissancekünstlers ist dargestellt, wie der auf der Jagd befindliche Eustachius vor einem Hirsch kniet, da er zwischen dessen Geweih ein Kreuz erblickt. Nach der Überlieferung soll der Feldher auf Grund dieser Erscheinung zum Christentum bekehrt worden sein. Richter hat jedoch diese Szene weggelassen und nur einen Teil der Landschaft in die Komposition eingefügt, und zwar den rechts im Hintergrund aufragenden und von einer Burg bekrönten Berg. Das im wahrsten Sinne des Wortes in den Hintergrund gedrängte Zitat, das eine völlig intakte und harmonisch auf die felsigen Hänge gebaute Architektur wiedergibt, steht im Gegensatz zu der Ruine und dem entwurzelten Baum des Mittelgrunds. So führt das Bild gut erhaltenes und zerstörtes Menschenwerk sowie gedeihende und zugrunde gehende Natur vor Augen. Dabei wird die Frage offengelassen, ob das Vergehen in dieser Bilderwelt von der Zeit oder von einer von Menschen verursachten Katastrophe hervorgerufen ist. Zumindest suggeriert die sonderbare Wolkenbildung am schweren Himmel Bedrohung.
Im hoch wuchernden Gras des Mittelgrunds spielt eine Frau versonnen Flöte, ihre Begegnung mit der Vergänglichkeit beklagend. Die Musizierende , ein Sinnbild zeitlich begrenzter Lebensfreude und Lebensseeligkeit, entlehnte Richter einer am 17. November 1972 entstandenen Radierung des exzellenten Zeichners und Graphikers Horst Janssen, und die hinter dem entwurzelten Baum aufragende Ruine bildete er einem Teil des 1945 zerstörten Schlosses von Bad Muskau nach. So deutete Richter in dem komplexen Bild eine zeitliche Dimension und die größer gewordenen Gefährdungen an.


 

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